Hausschlachtung

Drei Generationen Hausschlachter in Bebra: die Rehwalds

Hausschlachtung bei Familie Artzt in Nausis in den 40er Jahren

Hausschlachter Georg Rohde in Kassel

Ahle Wurscht und Hausschlachtung – eine persönliche Erinnerung
Hausschlachtung und „Ahle Wurscht“ gehören zu meinem Leben dazu. Geboren bin ich 1957 in Seifertshausen, einem 200-Seelen-Dorf im nordhessischen Bergland auf dem kleinen Bauernhof meiner Großeltern. Zwei Jahre später ist unsere Familie in ein eigenes Haus in die 10 km entfernte Kreisstadt Rotenburg an der Fulda übergesiedelt. Aber viele Tage im Jahr haben wir weiterhin auf dem Hof der Großeltern verbracht: Zur Heu-, Getreide-, Kartoffel- und Rübenernte sowie zum Schlachten waren alle Arbeitskräfte gefragt. Der Hof war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu klein, um eine Familie zu ernähren. Mein Großvater hat deshalb Maurer gelernt und betrieb im Sommer ein kleines Bauunternehmen. Im Winter zog er als Hausschlachter von Haus zu Haus. Für den eigenen Bedarf wurden 2 – 3 Schweine geschlachtet, die zum großen Teil zu Wurst, Speck und Schinken verarbeitet wurden. Bratenstücke, Koteletts und Schnitzel wurden seit den 60er Jahren im angemieteten Gefrierfach in der dörflichen Gefrieranlage eingelagert. Der Fleischbedarf der Familie war damit nahezu komplett gedeckt. Dazu kam lediglich das eigene Geflügel, ab und etwas Rindfleisch und gelegentlich eine Kochwurst vom Metzger.

Zum Schlachten reisten wir in der Kindheit immer am Abend vorher mit dem Bus an. Die Küche der Großeltern war dann bis auf den großen Tisch frei geräumt. Im ganzen Haus roch es nach Knoblauch, der in großen Mengen geschnitten und in einem großen Glas mit Wasser angesetzt wurde. Am Schlachttag waren frühes Aufstehen und ein üppiges Frühstück angesagt.

Wenn das Schwein dann von den Männern aus dem Stall geholt wurde und mit einem Strick am Hinterbein mit mehr oder weniger großen Kraftanstrengungen auf den Hof geführt wurde, war es noch dunkel. Wir Kinder wurden ferngehalten, versuchten aber mit ängstlicher Neugierde möglichst viel vom Geschehen mitzukriegen. Das Quieken des Schweins fand ich lange Zeit grausig. Das Schwein wurde in den ersten Jahren meiner bewussten Erinnerung mit Schlageisen und dickem hölzernen Vorschlaghammer betäubt, später wurde ein Bolzenschussgerät benutzt. Nach dem Abstechen trat zum ersten und vorerst einzigen Mal eine Frau auf den Plan: das Auffangen und Kneten des Blutes war Frauenarbeit. Zum Abbrühen und Abschaben von Borsten und Oberhaut wurde das tote Tier auf eine schwere Bank gehoben. Das Heranschleppen von heißem und kaltem Wasser war die erste Arbeit, die mir im Jungenalter anvertraut wurde. Anfangs wurden Ohren, Schwanz und Klauen noch sorgfältig gereinigt, später wurden die Extremitäten „mit der Axt gehärt“, das heißt abgetrennt und zu den Abfällen geworfen. Das saubere Tier wurde dann auf eine spezielle schwere Leiter gewälzt. Die Hinterbeine befestigte man mit Haken und Ketten an den Leiterpfosten. Das Ganze wurde dann zur Scheunenwand gezogen und steil aufgestellt. An diesem Leitergerüst schnitt der Hausmetzger das Tier bauchseits auf, nahm es aus und spaltete schließlich die Wirbelsäule und den Kopf. Anschließend wurde der erste Schnaps getrunken nach dem Motto: “Ist das Schwein erst hakenrein, muss einer getrunken sein”. Während der Metzger die Innereien trennte und die Därmen reinigte und der Trichinenbeschauer erwartet wurde, trat für die restliche Mannschaft eine Pause ein, die mit spaßigen Sprüchen, einem zweiten oder dritten Schnaps gefüllt wurde. Wenn das Schwein den Stempel vom Beschauer erhalten hatte und Kopf, Milz, Gekröse und Beinteile zum Kochen in den Kessel gelegt waren, zog die Schlachtegesellschaft in die Küche oder später in einen fürs Schlachten hergerichteten Kellerraum um. Mit dem Hereintragen der Schweinehälften war die schwere Arbeit beendet. In Bezug auf die „schwere Arbeit“ hat sich im Laufe der Jahre viel getan: das Hochheben des Schweines wurde irgendwann vom Vorderlader des Traktors übernommen, der beim Ausnehmen dann auch das Leitergerüst ersetzt hat. Inzwischen gibt es dazu ein raffiniertes Seilzugsystem unter dem Vordach. Mit dem Entfall des Hebens von schweren Lasten ist auch die Schlachtemannschaft deutlich geschrumpft: In meiner Kindheit waren neben dem Metzger immer mindestens vier Männer und drei Frauen anwesend. Inzwischen geht es auch mit zwei männlichen Helfern und zwei Frauen und mit deutlich gesunkenem Schnapskonsum. Da ich keine weiteren Änderungen in der Schlachtprozedur erlebt habe, gehe ich bei der weiteren Beschreibung zur Gegenwart über. Auf einem schweren Tisch zerlegt der Metzger die Schweinehälften. Die Helfer schneiden das für Wurstproduktion vorgesehene Muskelfleisch und den Speck in handgroße Stücke. Nach dem Zerlegen und einem ersten Würzen mit Salz, Pfeffer, Knoblauchbrühe, Muskat, Nelke und Salpeter wird das Fleisch durch den Wolf gedreht – eine der Arbeiten, die ich relativ früh übernehmen durfte und die mir heute noch großen Spaß macht. Zwischenzeitlich werden die Schwarten und überschüssige Speckteile zum Kochfleisch gegeben. Nach dem Durchkneten und Nachwürzen des Hackfleisches beginnt die Wurstproduktion. Die Stopfmaschine wird auf den Zerlegetisch gestellt, der Trichter mit Hackfleisch gefüllt, die Wurstdärme werden vom Metzger sorgfältig gefüllt. Die verantwortliche Aufgabe des Wurstbindens (wehe, wenn später eine Wurst abrutscht!) habe ich vor etwa 15 Jahren von meinem Vater übernommen. Die Hackfleischmasse wird zunächst als Bratwurst in dünne Därmen gefüllt, nach einem Nachsalzen sind die mittelgroßen rund abgebundenen Würste an der Reihe, dann kommen die „Stracken“ an die Reihe. Als Besonderheiten gibt es dann noch die am längsten haltbare Schmalzhaut (dafür wird die seröse Haut vom Schmalz abgezogen und zur Wurstpelle zusammengenäht) und der Fettdarm.

Irgendwann wird die Produktion der „roten Wurst“ durch das Mittagessen unterbrochen. Früher gab es in der Regel ganz frische Frikadellen, inzwischen gibt es meistens Kassler oder Gulasch.

Danach ist das Kesselfleisch gar und wird vom Metzger für die einzelnen Wurstsorten aufgeteilt: Speck, Zunge, Innereien und noch an den Kochen haftendes Muskelfleisch für Leber- und Blutwurst, die Köpfe für die Sülze, die Schwarten für das Weckewerk. Zunächst geht es an die Produktion der Leberwurst. Zu dem beschriebenen Kochfleisch kommen die Leber und Zwiebeln, als besonderes Gewürz Majoran in großen Mengen dazu. Ein Teil der Masse wird nach dem Durchdrehen für die Blutwurst abgezweigt und durch Blut und grobe Speckwürfel ergänzt. Blut- und Leberwurst werden in mittelstarke Därme und Blasen sowie Weckgläser eingefüllt. Die Sülze wird aus Kopffleisch, ausgeschältem Eisbein, Gehacktes, dazugekauften Rindfleischwürfeln und Fleischbrühe angemengt. Gewürzt wird mit Salz, Pfeffer, Muskat, Senfkörnern und Kümmel. Abgefüllt wird in gerade Därme, Blasen, dicke Kunstdärme und Weckgläser. Als letztes wird die Weckwurst produziert. Ein über die Jahre immer größer gewordener Teil Gehacktes wird mit immer weniger Schwarten, Zwiebeln und altem Weißbrot durchgedreht und mit Salz, Pfeffer, Muskat, Knoblauch und Majoran gewürzt. Für den baldigen Verbrauch wird ein Teil in Bratwurstdärme abgefüllt, der Rest wird eingekocht oder eingefroren.

Für den Hausschlachter und seine kräftigen Helfer ist die Arbeit damit beendet. Einer der älteren Männer bewacht die 1 ½ bis 2 ½ Stunden lang kochenden Blut- und Leberwürste und Sülzen, die Frauen haben die unangenehme Aufgabe des Aufwaschens und Reinigens der Räumlichkeiten. Auch das Auslassen des Fettes und das Einkochen der Wurstkonserven gehört in der Regel zu ihrem Aufgabenbereich.

Die in Därmen gefüllte Wurst erfordert in den folgenden Wochen und Monaten noch einiges an Aufmerksamkeit: Sie wird mit Buchholzmehl geräuchert und kühl und luftig gelagert. Schimmelansätze müssen regelmäßig abgewaschen werden. Erst wenn die “rote Wurst” gut gereift und “knüppelhart” ist, darf sie als “Ahle Wurscht”, also alte Wurst bezeichnet werden.

Inzwischen bin ich fast 50 Jahre alt und habe noch kein Jahr ohne Hausschlachtung und ohne verfügbare hausgemachte Wurstvorräte erlebt. Es gab in dieser Zeit viele Wandel: der Hof der Großeltern wurde von Onkel und Tante übernommen, das Erbteil meiner Mutter wurde quasi in Form von Schlachtschweinen ausgezahlt. Mein Opa wurde gebrechlich und ist verstorben, der erste externe Hausmetzger hat irgendwann wegen Asthma-Anfällen aufgegeben. In Studentenzeiten wurde aus dem regelmäßigen Abstauben elterlicher Vorräte die finanziell zur Hälfte beteiligte Wohngemeinschaft. Ich habe die Frau fürs Leben gefunden und zwei Söhne bekommen. Aus der Wohngemeinschaft wurde die Kleinfamilie. Mein Vater wurde zum alten Mann am Kessel und ist inzwischen gestorben. Onkel und Tante haben die Landwirtschaft inzwischen aufgegeben. Aber noch immer schlachten wir unser Schwein: Inzwischen in fester Partnerschaft mit meiner Schwester und ihrem Mann auf dem Hof unseres Hausmetzgers, der leider auch nicht mehr der Jüngste ist. Seit drei Jahren hilft mein älterer Sohn mit (es scheint ihm Spaß zu machen) …

Geblieben ist über all die Jahre der ganz besondere Geschmack der „Ahlen Wurscht“ aus dem Keller und der Räucherkammer unseres Vaters, in der trotz Heizung im Haus dank eines ausgeklügelten Lüftungs- und Befeuchtungssystems noch nie im nennenswerten Umfang Wurst verdorben ist. Die ganz große Rolle des Lagerraumes ist mir immer wieder deutlich geworden, wenn ich Wurst von Onkel und Tante gegessen habe: Trotz der gleichen Aufzucht der Schweine und des jeweils gleichen Metzgers hat sich der Geschmack immer auf die gleiche Weise von der Wurst aus dem väterlichen Keller unterschieden.

Neben der Selbstversorgung mit Wurst von hoher Qualität und der Bewahrung eines sehr vertrauten Geschmackes hat das Festhalten am Hausschlachten noch eine soziale Bedeutung: es ist das einzige Mal im Jahr, dass die Großfamilie zu einer gemeinsamen Arbeit mit fest eingespielten Rollen und einem anschließenden gemeinsamen Fest zusammen kommt. Der „Schlachtekohl“ am Abend muss nach wie vor sein. Es gibt eine Fleischbrühe mit Gehacktesklößchen und selbstgemachten Nudeln, frisches Gehacktes, Frikadellen, Kopffleisch und Sauerkraut und jede Menge Geschichten aus dem Familienrepertoire.

Gerhard Schneider-Rose aus Bebra-Breitenbach
(Vorstandsmitglied des Fördervereins)